Elektromobilität Schweiz Macroszenarien

Wer in den letzten Jahren die Prognosen bezüglich dem Wachstum der Elektromobilität verfolgt hat konnte einen wesentlichen Wandel der Wachstumsschätzungen feststellen von einem langsamen und linearen zu einem schnellen und exponentielles Wachstum. Ein Beispiel dafür ist der Verband deutscher Autobauer VDA, der seine Schätzung für den Anteil verkaufter Elektrofahrzeuge für das Jahr 2025 von 3% auf 15-25% korrigiert hat.

Ein profilierter Verfechter eines exponentiellen, disruptiven Wandels ist Tony Seba, der im Jahr 2014 das Buch „Clean Disruption of Energy and Transportation“ veröffentlichte. Seine Prognosen bezüglich Batteriekosten und Entwicklung des Marktanteils der Elektrofahrzeuge haben sich bis zum heutigen Zeitpunkt als erstaunlich präzise erwiesen. Die Basis seiner Prognosen sind:

  • Sinkende Kosten neuer Technologien in Abhängigkeit der Menge (Erfahrungs- und Skaleneffekt)
  • Produktinnovationen
  • Geschäftsinnovation

Ein S-Kurven Modell eines disruptiven Wandels wurde hier auf den Schweizer Fahrzeug-Markt mit 32%, 38 oder 45% Wachstum angewendet. In dieser Grössenordnung ist weltweit der Plugin Markt bisher gewachsen.

EV Wachstum S-Kurve exponentiell
Wachstums-Szenarien Elektromobilität Schweiz

Die Entwicklung des Anteils der zugelassenen Plugin Fahrzeuge wurde auf dem Motorfahrzeugbestand von 6 Mio. und den jährlichen Neuzulassungen von 400’000 Fahrzeugen simuliert. Startpunkt sind der Bestand von 20’000 Elektrofahrzeugen im Jahr 2016 und einer Nutzungsdauer von 15 Jahren (d. h. ein jährlicher Abgang von 6.7%). In rund zwanzig Jahren sind nach dieser Modellbetrachtung 50% der Autos auf der Strassen elektrisch unterwegs – bei 45% Wachstum im Jahr 2037 und bei 32% Wachstum im Jahr 2041 – ein Unterschied von nur 4 Jahren! Diese Veränderungen werden zu neuen Anforderungen in vielen Bereich führen, welche idealerweise schon heute in der Planung von Infrastruktur berücksichtigt wird.

Als Vergleich wird Norwegen mit einer Wachstumsrate von 32% simuliert. Nach dieser wird im Jahr 2025 ein Verkaufs-Anteil von 90% Elektroautos erreicht. Das Ziel der norwegischen Regierung ist es, ab diesem Jahr nur noch emissionsfreie Personenfahrzeuge in Verkehr zu setzen.

Die Frage steht im Raum, ob sich das exponentielle Wachstum wirklich fortsetzt oder ob das Wachstum auf einen linearen Pfad übergeht oder sogar stagniert. Diese Frage lässt sich auf 3 Punkte hinunterbrechen:

  • Kosten- und Preisentwicklung
  • Umfeld und Eigendynamik (Rahmenbedingungen und Rückkoppelungseffekte)
  • Kundenbedürfnisse und -Nachfrage

Kosten- und Preisentwicklung

Die Kosten- und Preisentwicklung hängt vom technischen Fortschritt vom Verbrennungs- und Elektromotor und der Batterien ab. Die Motorentechnik wird sich weiterhin sehr langsam entwickeln, wobei der Verbrennungsmotor nie die Effizienz, Kompaktheit und Zuverlässigkeit des Elektromotors erreichen wird. Im Gegensatz dazu haben sich die Batterien enorm schnell entwickelt – die anfänglich hohen Kosten haben sich stark reduziert. Der Preis für 1kWh Batteriekapazität lag 2010 bei rund 1000$ und und hat 2018 200$ /kWh vermutlich teilweise schon unterschritten, das heisst der Preis hat sich rund alle 4 Jahre jeweils halbiert. Würde der Kostenfortschritt stagnieren, würde wohl das Wachstum der Elektromobilität in einen linearen Pfad übergehen, um später zu stagnieren – das Elektrofahrzeug bliebe ein Nischenprodukt. Beobachtet man die Aktivitäten auf den verschiedenen Ebenen, ist ein stagnierender Kostenfortschritt schwer vorzustellen. Die Forschung- und Entwicklungsaktivitäten sind sehr breit aufgestellt, die sowohl inkrementelle Weiterentwicklungen wie auch völlig neue chemische Kompositionen verfolgen. Auch zeichnet sich eine starke Zunahme der Batterie-Produktionskapazitäten ab, was zu tieferen Kosten führen wird. Auch wenn eine Verknappung gewisser Rohstoffe mit entsprechenden Preissprüngen nicht ausgeschlossen ist, wird sich das Angebot der Nachfrage anpassen. Weiter haben sich grosse Autohersteller mit langfristigen Bezugsverträgen abgesichert. 

Mit einer Fortsetzung der Halbierung der Batteriekosten alle 4 Jahre (das heisst 2022 125$/kWh, 2026 62$/kWh) wird der Wendepunkt, da Elektrofahrzeuge günstiger sein werden als Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor, schon im ersten Teil der 2020er Jahre erreicht. Mit einer konservativen Annahme, dass ein Anteil von 50$/kWh sich dem Kostenfortschritt entziehen (z. B. reine Materialkosten) wird dieser Wendepunkt im zweiten Teil der 2020er Jahre liegen. Der finanzielle Vorteil des Elektroantriebs im Betrieb muss dann nicht mehr mit einem höheren Anschaffungspreis erkauft werden.

Umfeld und Eigendynamik

Die Automobilbranche wird seit Jahrzehnten durch die gleichen Hersteller dominiert und bis vor kurzem sind keine namhaften neuen Player in den Markt eingetreten. Anbieter aus Japan, Südkorea und aktuell China ist der Sprung von den lokalen Märkten nach Europa und USA mit einem Angriff mit günstigen Fahrzeugen gelungen. 

Tesla ist ein überraschend anderes Phänomen – mit teuren Autos und kleinen Stückzahlen, produziert in den USA, wurde Tesla nicht nur Marktführer im selbst geschaffenen Segment der Premium-Elektroautos, sondern auch ein sehr ernsthafter Konkurrent für die etablierten Hersteller. Diesen Erfolg machten Technologie- und Produktinnovation, Ausnutzen der Skaleneffekte in der Batterietechnologie und einfacher Zugang zu Risikokapital möglich. 

Es scheint mit der Elektromobilität eine neue Aufteilung des Automobilkuchens unter den neuen und bestehenden Herstellern und Lieferanten stattzufinden. Mit der Batterietechnologie und Software hat sich Tesla sehr stark differenziert und hier können die neuen Lieferanten eine entscheidende Rolle spielen. Bei den Batterien sind z. B. Panasonic, Samsung, LG Chem oder CATL schon stark im Markt verankert, bei der Software ist noch nicht klar inwieweit die Hersteller fremde Software zum Beispiel von Google oder Apple einsetzen werden, die im Bereich autonomes Fahren schon viel Erfahrung haben. Dies ist die Schlüsseltechnologie zur Geschäftsinnovation „Mobilität nach Bedarf“, welche längerfristig noch zusätzliche tiefgreifende Umwälzungen in den Fahrzeug-Markt bringen wird. 

BYD und Geely sind nur 2 der grossen chinesischen Elektro-Autohersteller, die zu einer starken Konkurrenz der etablierten Hersteller werden können, da China den weltweit grössten und stärksten wachsenden Fahrzeugmarkt hat und die Elektromobilität in China sehr stark gefördert wird. Die Chinesen wollen nicht nur die Luftqualität in ihren Städten verbessern, sondern sich auch international als Autohersteller etablieren – die Elektromobilität bietet hierfür eine optimale Möglichkeit. Der chinesische Staat hat die Möglichkeit, erhebliche finanzielle Mittel in diesen Bereich zu lenken und wird es vermutlich weiter tun. 

Die bestehenden Hersteller haben keine Wahl, sie müssen mittelfristig alle Modelle mit Elektroantrieb zu einem konkurrenzfähigen Preis anbieten, um ihren Marktanteil gegen die verschiedenen bekannten und potentiellen Angreifer zu verteidigen. Weiter werden vor allem die Premium-Hersteller die EU-Vorgaben bezüglich CO2 Flottenverbrauch ohne starkes Wachstum des Anteils Elektrofahrzeuge klar verfehlen, was Strafzahlungen in Milliardenhöhe zur Folge hätte.

Mit der Ratifizierung des Pariser Klimaabkommen hat sich die Schweiz verpflichtet, bis 2030 die CO2 Ausstoss auf 50% zum Stand vom 1990 zu senken. Obwohl ein Teil davon im Ausland kompensiert werden kann, ist dies ein sehr anspruchsvolles Ziel. Die Emissionen sind bis zum heutigen Zeitpunkt nur leicht zurückgegangen. Der Verkehr ist mit 32% der grösste Verursacher von CO2 Emissionen in der Schweiz. Das Zwischenziel der CO2 Emissionen der neuen Personenwagen von 130 Gramm CO2 pro Kilometer wurde 2015 um rund 5 Gramm verfehlt. Der neue Zielwert liegt bei 95 g CO2/km ab 2020, das erreichen dieses Wertes ist ziemlich unwahrscheinlich. Die Elektromobilität kann helfen, hier schnellere Fortschritte zu erzielen.

Kundenbedürfnisse und -Nachfrage

Die Kundennachfrage ist die alles entscheidende, aber auch am schwierigsten zu prognostizierende Variable. Neben den harten Entscheidungsfaktoren wie Anschaffungs- und Betriebskosten gibt es viele weiche Faktoren wie Image, Fahrgefühl und die verschiedenen Bedenken der Kunden wie Reichweite oder Langlebigkeit der Batterie. Die Wahrnehmung der Elektromobilität hat sich in den letzten 10 Jahren dank der zunehmenden Anzahl attraktiver Elektrofahrzeuge positiv verändert – da der Autokauf eine wichtige Entscheidung ist, werden die Konsumenten sich zunehmend mit dem Elektroantrieb beschäftigen – die meisten Autofahrer konnten sich noch keine fundierte Meinung zum Elektroantrieb bilden (zum Beispiel mit Probefahrten).

Werden Verbrennungsmotoren das Schicksal mit der analogen Fotografie teilen und in 50 Jahren nur noch eine Randerscheinung sein? 

Um dies zu beurteilen lohnt sich ein Blick nach Norwegen – der Verkaufsanteil der Plugin Fahrzeuge hat im Jahr 2017 fast 40% erreicht – die höchste Rate weltweit. Ein wesentlicher Punkt ist, dass in Norwegen bei Elektrofahrzeugen die Mehrwertsteuer von 25% und die Kaufsteuer entfällt, und auch Vorteile in der Nutzung gewährt werden (Gratis Fähren und Parkplätze, Benutzung der Busstreifen, reduzierte Steuern etc.), so dass der limitierende Faktor des höheren Kaufpreis eliminiert wurde. Die Anreize für Elektrofahrzeuge wurden in Norwegen schon zwischen 1990 und 2005 eingeführt, aber erst der Launch des Nissan Leaf und Mitsubishi i-MiEV im Jahr 2011 hat ein schnelles Wachstum ermöglicht. Trotz der gewährten Vorteile für Elektrofahrzeuge ist der hohe Verkaufsanteil erstaunlich, da der Elektrofahrzeugmarkt noch immer unreif ist –  die Auswahl der Elektroautos ist sehr eingeschränkt und die wichtigsten Kriterien wie eine reale Reichweite über 300km und Schnelllade-Möglichkeiten (Infrastruktur und Fahrzeug mit 100kW, das heisst laden von 300km Reichweite  in rund 30 Minuten) erfüllen nur eine handvoll Modelle. Das Beispiel Norwegen lässt erahnen, wie sich in andern Ländern der Wandel vollziehen könnte, wenn ein breites Angebot günstiger Elektrofahrzeuge mit über 300km Reichweite verfügbar ist. Bei den genannten limitierenden Faktoren Preis, Modellauswahl, Reichweite und Schnelllade-Möglichkeiten zeichnen sich in nächsten Jahren grosse Fortschritte ab – ab 2020 kann man mit einer neuen Generation Elektroautos von verschiedenen Herstellern rechnen, die sich stark an den Spezifikationen von Tesla orientieren bezüglich Reichweite, Ladegeschwindigkeit und sportlichem Charakter. Die etablierten Hersteller rollen den Markt wie Tesla von der Mittel- und Oberklasse her auf. Auch der Markt der elektrischen Kleinwagen wächst sehr schnell, da diese für den urbanen Bereich ideal sind. Hier versuchen viele Quereinsteiger, sich ein Stück vom Automarkt abzuschneiden. 

Die etablierten Hersteller investieren aber nicht nur in neue elektrische Modelle, sondern auch in Schnelllade-Infrastruktur. Das Joint Venture IONITY der BMW Gruppe, der Daimler AG, Ford und des VW-Konzerns hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2020 400 Schnellladestationen in ganz Europa zu bauen mit bis 350kW Leistung (die entspricht einer Ladung von 100km in unter 4 Minuten). Die erste Station in der Schweiz wurde in Neuenkirch (LU) im April 2018 mit 6 Ports eröffnet. Erklärtes Ziel von IONITY es, den Kunden zu ermöglichen, „die Vorteile der Elektromobilität auf der Langstrecke zu genießen“.

Fussnoten

  • Das S-Kurven-Modell ist typisch für die Beschreibung des Wachstums einer neuen Technologie. Der Vorjahres-Marktanteil wird mit dem Wachstumsgrad multipliziert, gewichtet mit dem verbleibenden Marktanteil: Vorjahreswert * (1+Wachstum [%])*(1-Marktanteil [%]). Der Wachstumsgrad ist bei einem tiefen Marktanteil exponentiell. Der Wendepunkt liegt beim Marktanteil von 50%, hier hat sich der prozentuale Wachstumsgrad halbiert und die Kurve geht degressiv bis 100%. Auch wenn in der Realität das Wachstum nie exakt einer solchen mathematischen Kurve folgt, ist dies Betrachtung eine nützliche modellhafte Annäherung an die Realität.
  • Wie die Aufteilung zwischen Plug-in Hybrid und vollelektrischen Fahrzeugen sich entwickelt, hängt sehr stark von der Entwicklung der Batterietechnologie ab: je höher die Energiedichte und die Ladegeschwindigkeit und je tiefer der Preis desto eher wird sich der vollelektrische Antrieb durchsetzen. Auch bei Plug-in Hybrid Autos werden oft ein Grossteil der Strecken vollelektrisch zurückgelegt. Man kann davon ausgehen, dass Plug-in Hybrid Autos ziemlich schnell in den Hintergrund gedrängt werden wenn sich Preis und Leistung der Batterien wie erwartet entwickeln. 
  • Der Fahrzeugbestand von 6 Millionen lässt sich folgendermassen aufteilen: Personen und leichte Motorwagen: 77% / Motorräder: 12% / Lieferwagen: 6% / Landwirtschaftliche und diverse Arbeitsfahrzeuge: 4% / Busse und Lastwagen: 1%. Wohl wird sich vor allem die Elektrifizierung von Motorrädern und landwirtschaftlichen Fahrzeugen etwas anders entwickeln, aber im Grundsatz sind auch in diesen Bereichen die gleichen Mechanismen wirksam. 

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