Elektromobilität Ladeleistung aus Sicht von Kunden und Verteilnetz

Leistung und Geschwindigkeit sind bei Automobilen seit jeher wichtige Attribute, obwohl die Kluft zwischen der zur Verfügung stehenden und im Alltag genutzten Leistung immer grösser wird. Ein wichtiges Verkaufskriterium bei Elektrofahrzeugen ist neben der Reichweite die Ladeleistung. Die öffentlichen Schnellladestationen sind ein wichtiges Element, um Elektromobilität alltagstauglich zu machen. Auf den ersten Blick scheint auch zu Hause eine hohe Ladeleistung nötig zu sein, um die Elektrofahrzeuge in nützlicher Frist aufzuladen. Eine kritische Analyse dieser Annahme ist sowohl aus der Perspektive des Verteilnetzes und der Kundenseite angebracht.

Mobilität und Energiebedarf

Obwohl der Anteil an der Mobilität nur ein Viertel ist, verursacht der Pendlerverkehr auf der Strasse Überlastungen und kann im Verteilnetz am Abend zu kritischen Leistungsspitzen führen. Deswegen wird dieses Szenario genauer untersucht. Als erster Parameter sind die typische Reisedistanz und der resultierende Energiebedarf entscheidend:

  • Die typische tägliche Reisedauer von Pendlern in der Schweiz ist in 90% aller Fälle maximal 2 Stunden pro Tag (grüner Bereich in Grafik)
  • Die Pendlerdistanz ist in 95% maximal 100km pro Tag (roter Bereich in Grafik)

Der Energieverbrauch von Elektrofahrzeugen liegt typischerweise zwischen 15 und 20kWh pro 100km, je nach Effizienz des Fahrzeuges und der Geschwindigkeit. Ausgehend von der täglichen Reisedistanz liegt in 95% der Fälle der tägliche Energiebedarf unter 20kWh. Als Orientierungsgrösse zum täglichen Energieverbrauch (links) ist auf der rechten Seite die resultierende Jahresdistanz bei einem Verbrauch von 19kWh/100km aufgeführt.

Ladeleistung und -zeit

Bei der Auswahl der Heim-Ladeinfrastruktur und der Bestimmung der gewünschten Leistung ist die maximale Ladeleistung des Fahrzeugs für Kunden der erste Anhaltspunkt. Weiter sind die Möglichkeiten der bestehenden Elektroinstallation bzw. deren Erweiterbarkeit, der Nennstrom der Hausanschluss-Sicherung und die Möglichkeiten der verschiedenen Ladesysteme wichtige Auswahlkriterien. Die schnelle Ladung zwischen 2 Terminen verliert dank den grösseren Batterien mit Reichweiten-Reserve an Bedeutung. Weiter wird das Angebot der Gleichstrom-Schnellladestationen dichter und die meisten Elektrofahrzeuge unterstützen dies mit immer kürzeren Ladezeiten. Somit ist die Heim-Ladung während 8 – 12h in der Regel genügend (vgl. Blog EV Technologie-Trends). In der folgenden Grafik ist die Dauer der Ladung in h nach Leistungen und Energiebedarf ersichtlich.

Bei einer Ladeleistung von 2kW dauert die vollständige Ladung eines Mittelklasse-Elektrofahrzeugs inakzeptabel lang. Trotzdem würde die Leistung einer Haushaltssteckdose mit 10A / 2.2kW für einen typischen Pendler in Ergänzung mit Schnelllademöglichkeiten genügen (die Schweizer Haushaltssteckdosen Typ 12 und 13 sind für 10A ausgelegt, jedoch mit 13A abgesichert, somit ist z. B. der Typ 23 mit 16A vorzuziehen). Eine Ladeleistung von 3.5kW wird erst knapp, wenn 200-300km in weniger als 12 Stunden geladen werden müssen. Mit der Leistung von 7kW kann in 8h eine 70kWh Batterie (Reichweite ca. 400km) von 20% auf 100% geladen werden. Dies ist in einer normalen Nutzung mit Ladung während der Nacht mehr als ausreichend. Dieselbe Ladung erfolgt mit 11kW in 5 Stunden.

Resultierende gleichzeitige Last

Bei der nachfolgenden Illustration dient ein typischer Transformator von 630kVA(kW) als Referenzwert der Belastungsgrenze (der Engpass kann auch an einem anderen Ort im Netz auftreten). Bei der folgenden Grafik wird die resultierende Belastung eines Transformers bei verschiedenen Ladeleistungen und Anzahl von Fahrzeugen bei einer gleichzeitigen Ladung aufgezeigt.

Bei einer Ladeleistung von 3.5kW können über 50 Fahrzeuge geladen werden, ohne 1/3 der Nennleistung eines 630kVA Transformators zu überschreiten. Bei 7kW Ladeleistung liegt diese Grenze bei 30 und bei 11kW bei 19 Elektrofahrzeugen.

Normalbetrieb vs. Netzaufbau

Im Normalbetrieb kann bei den Elektrofahrzeugen mit einer Leistungsglättung durch die zufällige Verteilung der Lasten ausgegangen werden (vgl. Lastentwicklung Elektromobilität im Quartier). Das Verteilnetz muss jedoch auf den Netzaufbau nach einem Versorgungsunterbruch ausgelegt sein. Ohne Steuerung der Ladung der Elektrofahrzeuge muss in einem solchen Fall von einer Gleichzeitigkeit von 1 ausgegangen werden. Dies kann einen Versorgungsunterbruch zusätzlich verschärfen und sich auf allen Netzebenen kritisch auswirken. Im Niederspannungsnetz kann durch ein Überschreiten der Lastgrenzen der gestaffelte Netzaufbau pro Trafostation nötig machen. Werden die Engpässe erst beim Auslösen von Sicherungen erkannt, kann dies zu einer chaotischen Situation und einem viel längeren Versorgungsunterbruch führen.

Beispielhaft kann man bei einer typischen Trafostation mit einer Leistung von 630kVA von 40 Anschluss- und 120 Messpunkten ausgehen. Wenn an der Hälfte der Anschluss- bzw. 16% der Messpunkte 1 Elektrofahrzeug mit einer Ladeleistung von 11kW geladen wird, entspricht dies einem Drittel der Nennleistung des Transformers. Mehrfamilienhäuser mit einem Lademanagementsystem halten die Gesamt-Leistung unter der Nennleistung der Anschlusssicherung. Sind solche Systeme in mehreren Liegenschaften am gleichen Strang im Einsatz, kann dies je nach Netzkonzeption zum Auslösen einer vorgelagerten Sicherung führen, da eine Gleichzeitigkeit von 1 mehrerer Liegenschaften nicht vorgesehen ist.

eine ideale Leistung?

Bei vielen Mittelklasse-Fahrzeugen haben nur die Basismodelle mit einer kleineren Batterie ein Boardladegerät mit einer Leistung von 7kW – deswegen muss man mit einer weiten Verbreitung von einer möglichen Ladeleistung von 11kW und mehr rechnen. Aus Netz- und Kundenperspektive scheint die Ladeleistung von 7kW ohne Netzsteuerung optimal zu sein – eine vollständige Ladung während der Nacht ist möglich. Die Belastung der Netze bleibt trotzdem relativ tief. Weiter ist die Netzbelastung symmetrisch (nach den Werkvorschriften Schweiz darf die einphasige / unsymmetrische Belastung von Verbraucher maximal 3.6kW sein).

Die Motivation der Kunden, die maximale Ladeleistung zu nutzen hängt von verschiedenen Faktoren ab und kann auch vom EVU beeinflusst werden. Der Nutzungsfall eines typischen Elektrofahrzeugs erfordert keine grosse Ladeleistung bzw. lässt eine hohe zeitliche Flexibilität zu. Beispielsweise kann mit Leistungstarifen langsames Laden gefördert oder ein Anreiz für den Wechsel in einen Wahltarif geschaffen werden.

Konklusion

Das Thema Leistung technisch im zu Griff haben und bei der Kundschaft zu adressieren ist weitreichend und komplex. Die Ausgangslage in verschiedenen Netzgebieten ist aufgrund von Kundenstruktur, Topologie, Netzkonzeption und Anlagenalter sehr unterschiedlich. Die Priorisierung der verschiedenen Massnahmen ist entscheidend und erfordert eine ganzheitliche Herangehensweise. Netzberechnungen und Simulationen sind unverzichtbare Hilfsmittel. Der Netzbetrieb wird ohne Betriebsmessungen an wichtigen Knotenpunkten zunehmend zu einem Blindflug, was zu kritischen Situationen führen kann. Eine sinnvolle Mischung zwischen Vorschriften und Anreizen zu finden, ist eine neue Herausforderung für EVU.

Im Wahltarif können gesteuerte, hohe Ladeleistungen für den Netzbetreiber als Flexibilität in Zeiten geringer Last oder hoher lokaler Einspeisung interessant sein. Dies kann als Chance erkannt und genutzt werden, jedoch steigen mit der Komplexität der Lösungen auch die Risiken. Eine bewusste kritische Beurteilung aller relevanten Elemente im Sinne einer Risikoanalyse ist entscheidend. Die Möglichkeiten der technischen Lösungen bei steuerbaren Verbrauchern sind vielfältig – zum Beispiel Notansteuerung (Möglichkeiten zum Sperren), Anlaufverzögerung oder gar eine automatische Unterbrechung bei Stromausfällen. Mit einer Mischung zwischen zentral gesteuerten, digitalen und dynamischen Lösungen (hohe Komplexität) und dezentral gesteuerten, analogen und statischen (tiefe Komplexität) kann das Risiko wesentlich verringert werden. Der Technologiewechsel mit der Ablösung der Rundsteuerung durch Smartmeter ist Chance und Risiko zugleich. Aktuell ist ein gewisser Wildwuchs bei den Vorschriften und technischen Lösungen zu beobachten. Die Branche ist gefordert, weder in Unbeweglichkeit noch naive Technik-Gläubigkeit zu verfallen und die sich anbietenden Lösungselemente gezielt einzusetzen.

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