Lastentwicklung Elektromobilität im Quartier

Energiebedarf Elektromobilität

In der Schweiz wurden im Jahr 2017 im privaten Personenverkehr rund 60 Milliarden Kilometer zurückgelegt. Wenn die Hälfte davon in 15 bis 20 Jahren elektrisch zurückgelegt wird, hat dies einen zusätzlichen Stromverbrauch von 6 Mrd. kWh zur Folge (bei 20kWh pro 100km), 10% vom Stromverbrauch im Jahr 2017.
Infrastrukturbetreiber müssen sich auf ein solches Szenario vorbereiten (vgl. Elektromobilität Schweiz Macroszenarien, neu zugelassene Fahrzeuge legen mehr Kilometer zurück und dies sind mit hoher Wahrscheinlichkeit ab spätestens 2030 in der Mehrheit Elektrofahrzeuge. Somit werden mehrere Jahre bevor die Elektrofahrzeuge die Schwelle von 50% der Zulassungen erreichen die Mehrheit der Kilometer elektrisch zurückgelegt). Ein Wachstumsschub der Elektromobilität um 50% innerhalb von 10 Jahren (bezogen auf die zurückgelegten Kilometer) mit einem zusätzlichen  Stromverbrauch von 6 Mrd. kWh ist nicht ausgeschlossen. Doch ein solcher Zuwachs des Stromverbrauchs ist nicht ungewöhnlich – dieser ist im Schnitt seit 1970 über 6 Mrd. kWh in 10 Jahren  gestiegen (siehe Grafik). 

Grafik Entwicklung jährlicher Endverbrauch Elektrizität Schweiz in GWh

 

Herausforderung Leistungsbereitstellung

Bei einer vollständigen Elektrifizierung des Privatverkehrs wird nicht die Steigerung des Stromverbrauchs von rund 20% die grösste Herausforderung sein, sondern die örtliche und zeitliche Ballung der Leistung! Im schlimmsten Fall starten alle Kunden zuhause ihre Ladung gleichzeitig beim Start des Niedertarifs mit maximaler Leistung, was das Verteilnetz mit zunehmender Verbreitung der Elektromobilität an die Grenzen bringen würde. Auch wenn das Angebot des schnellen Ladens mit Gleichstrom zunimmt, werden Elektrofahrzeuge in absehbarer Zeit hauptsächlich im Quartier mit Wechselstrom geladen (vgl. Technologie-Trends Elektromobilität 2020-2025).

In einen typischen Haushalt ist die Warmwasseraufbereitung mit 2-5kW einer der grössten Leistungsbezüger, und wird deswegen in Zeiten mit geringer Last ferngesteuert eingeschaltet. Der Kochherd hat die grösste Leistung mit ca. 10kW (4 Kochfelder und Backofen), wird aber praktisch nie mit voller Leistung genutzt. Elektroautos mit einer Ladeleistung von 11kW (3x400Vx16A) und mehr stellen alle Verbraucher im Haushalt in den Schatten (dies liegt aber noch klar unter der typischen Anschlusssicherung von 25A eines Einfamilienhaus). Bei einer gleichzeitigen Ladung mit 11kW beanspruchen 25 Elektroautos mehr als 80% der Kapazität eines 240mm2 Kupfer Niederspannungskabels! Nicht selten speisen solche Leitungen bis zu 50 Anschlusspunkte an.

 

Leistungsglättung durch zufällige Verteilung

Ist nun eine vollständige Erneuerung des Verteilnetzes nötig um die hohen Lasten abzudecken? Hält man sich die Steigerung des Energiebedarf von 20% vor Augen, so kann mit einer zeitlichen Verteilung der Lasten die Anpassung der Dimensionerung des Netzes weitgehend mit der laufenden Erneuerung erfolgen. Doch für die Bestimmung der Dimensionierung des Netzes sind solide Lastprognosen entscheidend, um kostenoptimiert zu investieren.

Die erwähnte zeitliche Verteilung der Lasten ist möglich, indem die Leistung des einzelnen Verbrauchers begrenzt und / oder die Gleichzeitigkeit gesenkt wird durch die Steuerung des Zeitpunktes der Last. Der Gleichzeitigkeitsfaktor ist ein entscheidender Faktor im Netz und wird praktisch immer implizit oder explizit in die Netzdimensionierung einbezogen (siehe Beispiel des Kochherds), ist jedoch nicht so einfach abzuschätzen oder zu berechnen, vor allem ohne Erfahrungswerte.

Eine aktive Verteilung von Lasten mittels Steuerung ist aktuell, abgesehen von der Warmwasseraufbereitung und Wärmepumpen, eher die Ausnahme, und trotzdem verteilen sich die Lasten zufällig durch das unterschiedliche Nutzungsverhalten der Verbraucher. Dieser stochastische Prozess lässt sich mit der sogenannten Monte Carlo Simulation nachbilden, um damit die effektiv auftretenden Lasten abzuschätzen.

 

Parametrierung der Simulation

Bei der folgenden Simulation wird die Netzlast durch Elektrofahrzeuge bei Einfach- und Doppeltarif verglichen. Im Einfachtarif wird das Auto nach Bedarf geladen, das heisst bei der Ankunft zuhause wird das Auto angesteckt und bis zum gewünschten Stand geladen (z. B. 80% oder 100%). Der Effekt der zeitlichen Verteilung des Beginns des Ladevorgangs bring schon eine wesentliche Entlastung des Netzes (ausgedrückt im Gleichzeitigkeitsfaktor). Beim Doppeltarif ist dieser Effekt weniger stark, da die meisten Kunden versuchen Kosten zu sparen und die Ladung am Anfang des Niedertarifs starten.

Folgende Faktoren können in die Simulation einbezogen werden:
– Beginn der Ladung (z. B. Ankunft zu Hause)
– Ladebedarf (entsprechend den gefahrenen Kilometern)
– Ladeleistung

Für die Ladeleistung wurde ein fixer Wert von 11kW angenommen. Typischerweise folgen Verbraucherverhalten einer unsymmetrischen Normalverteilung. Der Beginn der Ladung wurde mit einer Verteilung abgebildet, die einem typischen Verhalten von Pendlern entspricht (Start der Ladung beim Rückkehr an den Wohnort). Die 2. Verteilung entspricht einem Kundenverhalten bei einem Doppeltarif, mit dem Start des Ladevorgangs nach 22h im Niedertarif.

Verteilung Zeitpunkt des Starts der Ladung in Quartieren

 

Hergeleitet aus Pendlerstatistiken und Kenngrössen bezüglich Kilometerleistung wurde folgende Verteilung für den täglichen Ladebedarf in kWh definiert:

Verteilung Ladebedarf in kWh (entsprechend täglicher Fahrleistung mit einem Verbrauch von 20kWh/100km)


Ergebnisse der Simulation

Die Monte-Carlo Simulation generiert auf Basis der vordefinierten Verteilungen Zufallswerte, die dann in die jeweiligen Berechnungen einfliessen (in diesem Fall die Viertelstundenwerte der Lasten im Verteilnetz im Quartier). Es wurden 10’000 Iterationen (simulierte Tage) gerechnet und anschliessend ausgewertet.
Die Simulation zeigt auf, dass die Netzbelastung bei einem Doppeltarif im Median-Wert doppelt so hoch ist. Auch der Maximum-Wert (der 10’000 Iterationen) ist im Doppeltarif wesentlich höher als im Einfachtarif.

Leistung im Tagesverlauf von 25 Elektroautos mit 11kW Ladeleistung als Resultat vom Zeitpunkt des Ladestarts und vom Ladebedarf

 

Die Gleichzeitigkeit folgt dem gleichen Bild, doch mit einer andern Skala. So liegt die maximale Gleichzeitigkeit im Doppeltarif bei 0.9, beim Einzeltarif bei 0.6.

Gleichzeitigkeitsfaktor im Tagesverlauf als Resultat vom Zeitpunkt des Ladestarts und vom Ladebedarf von 25 Elektroautos mit 11kW Ladeleistung

 

Im Median sind beim Einzeltarif um 24h alle Fahrzeuge geladen, beim Doppeltarif dauert es bis 02h. Im schlechtesten Fall dauert die Ladung aller Fahrzeuge bis 05h (einzelne Fahrzeuge mit einem hohem Ladebedarf und einem Ladestart um 24h).

Gesamter Ladegrad von 25 Elektroautos mit 11kW Ladeleistung im Tagesverlauf als Resultat vom Zeitpunkt des Ladestarts und vom Ladebedarf

 

Erkenntnisse aus der Simulation

Der zufällige Startzeitpunkt der Ladung bringt schon eine wesentliche Verbesserung durch die gleichmässigere Verteilung der Lasten und kann in einer Übergangsphase die Netzbelastung wesentlich verringern. Trotzdem kann die Netzbelastung ohne Begrenzung der Lasten mit der fortschreitenden Verbreitung der Elektromobilität in Ausnahmesituation kritisch werden. Auch werden vermehrt Strompreis-Signale den Ladezeitpunkt bestimmen und können wiederum Lastspitzen erzeugen. Wohl hat das Netz eine Toleranz für Überlast – einerseits haben die Schutzelemente eine Auslösetoleranz (Kennlinien über die Zeit und Höhe der Überlast), auf der andern Seite spielt es eine Rolle, ob ein Kabel täglich oder nur einige Male pro Jahr überlastet wird. Diese Faktoren werden idealerweise auch quantifiziert- die Monte Carlo Simulation ist bestens für die solche Simulationen geeignet, zum Beispiel mit der Auswertung der 95% oder 99% Perzentile.

Das Simulations-Modell mit einer fixen Ladeleistung von 11kW gibt einen ersten Anhaltspunkt, bildet die Realität mit typischen Ladeleistungen zwischen 2kW und 22kW nur ansatzweise ab und kann noch verfeinert werden. Mit einem verfeinerten Simulationsmodell können weiter die Effekte von Lastbegrenzungen, zuschaltbaren Lasten und Leistungstarifen simuliert und getestet werden. Dies ist ein wertvolles Instrument, um Strategien für das zukünftige Lastmanagement auf einer soliden Entscheidungsbasis zu entwickeln.

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